Reaktionen und RezensionenPeter Nowak in Jungle World Nr. 13/2013Anders als in vielen anderen Schriften über Hausprojekte handelt es sich keineswegs um eine Publikation, in der sich ehemalige Besetzer wehmütig an die gute, alte Zeit erinnern und die Repression beklagen. Vielmehr ist der Band ein Geschichtsbuch über die radikale Linke der vergangenen 15 Jahre. Denn »das besetzte Haus«, wie es auf Flugblättern immer genannt wurde, war nie nur ein Wohlfühlort für Unangepasste. +lesen+Wohlfühlort, TäterortAcht Jahre lang gab es das besetzte Haus in Erfurt auf dem ehemaligen Gelände der Firma Topf und Söhne, die im Nationalsozialismus Krematoriumsöfen herstellte. Nun widmen sich ehemalige Bewohner einer kritischen Rückschau. Gleich zwei Jubiläen stehen für die linke Szene in Erfurt an. Am 12.April jährt sich zum 12. Mal die Besetzung des ehemaligen Geländes der Firma Topf und Söhne. Am 15.April 2009 wurde es mit einem großen Polizeieinsatz geräumt. Auch beinahe vier Jahre nach der Räumung sind das Gelände und das ehemals besetzte Haus, das sich dort befindet, noch nicht in Vergessenheit geraten. Das zeigt der ansprechend gestaltete Bildband »Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort«, der von den ehemaligen Hausbewohnern Karl Meyerbeer und Pascal Späth kürzlich im Verlag Graswurzelrevolution herausgegeben wurde. Anders als in vielen anderen Schriften über Hausprojekte handelt es sich keineswegs um eine Publikation, in der sich ehemalige Besetzer wehmütig an die gute, alte Zeit erinnern und die Repression beklagen. Vielmehr ist der Band ein Geschichtsbuch über die radikale Linke der vergangenen 15 Jahre. Denn »das besetzte Haus«, wie es auf Flugblättern immer genannt wurde, war nie nur ein Wohlfühlort für Unangepasste. Schon im Titel des Buches wird deutlich, dass die Geschichte des Ortes für die Außen- und die Selbstwahrnehmung der Besetzer eine zentrale Rolle spielte. Denn die Erfurter Firma Topf und Söhne stellte auf dem Gelände in der Zeit des Nationalsozialismus Krematoriumsöfen für Konzentrations- und Vernichtungslager her. Die Mehrheit der jungen Menschen, die im Frühjahr 2001 die Besetzung vorbereiteten, sah in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes von Anfang an eine politische Notwendigkeit. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit in der Geschichte der Besetzerbewegung. So thematisierten die Bewohner des als Köpi international bekannten Hausprojekts in Berlin nie öffentlich, dass sich während des Zweiten Weltkriegs auf dem Gelände eine der vielen Unterkünfte für Zwangsarbeiter befunden hat. In Erfurt wurde hingegen bereits 2002 das Autonome Bildungswerk (ABW) gegründet, das mit Veranstaltungen und historischen Rundgängen über das ehemalige Gelände von Topf und Söhne aufklärte. Marcel Müller, der bis 2003 im ABW mitarbeitete, kommt im Buch zu einem sicher diskussionswürdigen Resümee über das Bildungswerk: »Als ein echtes Stück bürgerschaftlichen Engagements kann es als Teil einer unerzählten Geschichte der Erfurter Zivilgesellschaft gelten. Als revolutionäres Projekt der kollektiven Bildung für eine andere Gesellschaftsordnung ist es Teil linker Geschichte des Scheiterns. Für die Beteiligten kann es als Erfahrungsraum für spätere Lebensabschnitte in seiner Bedeutung möglicherweise nicht hoch genug eingeschätzt werden, war mit ihm doch die Einübung bestimmter Skills wie Selbständigkeit, Geschichtsbewusstsein, Organisationstalent verbunden, die z. B. einer akademischen Karriere nicht eben abträglich sind.« Ein solches Fazit könnten Angehörige der radikalen Linken auch in anderen Bereichen ziehen. In einem eigenen Kapitel zur geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit dem »Täterort« zeigt sich, wie diese selbst dazu beitrug, dass es mittlerweile auch offiziell einen »Erinnerungsort Topf und Söhne« gibt. Diesen bewirbt die Stadt Erfurt auf ihren Tourismusseiten im Internet, umgeben wird der Verweis auf »die Ofenbauer von Auschwitz« von Slogans wie »erleben und verweilen« und »Rendezvous in der Mitte Deutschlands«. Das passt sehr gut zu jener Erinnerungspolitik, die im besetzten Haus einer radikalen Kritik unterzogen wurde. Auch in innerlinken Auseinandersetzungen ergriffen die politisch aktiven Bewohner Partei und scheuten dabei nicht die Auseinandersetzung. So sorgte die Demonstration unter dem Motto »Es gibt 1000 Gründe, Deutschland zu hassen«, die mehrere Jahre in Folge am 3.Oktober in Erfurt mit Unterstützung des besetzten Hauses veranstaltet wurde, vor allem in reformistischen Kreisen für Aufregung. Die Ablehnung von Antiamerikanismus und antiisraelischer Politik, die ein Großteil der Hausbewohner nach den Anschlägen vom 11.September 2001 vertrat, sorgte auch in der radikalen Linken für Konflikte. Es ist erfreulich, dass auch diese strittigen Themen im Buch nicht ausgespart werden. So findet sich ein Interview mit einem ehemaligen Mitglied der Gruppe Pro Israel und einem Antizionisten, der bei einer Veranstaltung dieser Gruppe im April 2002 Hausverbot erhielt. Elf Jahre später sind beide in der linken Bildungsarbeit in Thüringen tätig und sehen den damaligen Streit mit großer Distanz. Der ehemalige Pro-Israel-Aktivist stellt nun selbstkritisch fest: »Dass die Auseinandersetzung über linken Antisemitismus geführt wurde, fand ich richtig. Von heute aus gesehen würde ich sagen, dass die Fokussierung auf einen Punkt ein Problem war. Die soziale Frage hat überhaupt keine Rolle gespielt, was – muss man auch mal sagen – daran lag, das die uns kaum betroffen hat.« Der Streit um eine US-Fahne, die ein Hausbewohner an seinem Zimmerfenster angebracht hatte und die andere erzürnte, wird von den Beteiligten mittlerweile eher als Punkrock denn als Politik bezeichnet. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des über acht Jahre lang besetzten Hauses in Erfurt führt so auch zu den damaligen Diskussionen, die die radikale Linke bundesweit beschäftigten. Dass trotz der sicher nicht immer besonders erfreulichen Diskussionen ehemalige Hausbewohner drei Jahre nach der Räumung noch in unterschiedlichen linken Gruppen tätig sind, macht deutlich, dass das Haus bei der Politisierung einer Generation junger Menschen in Erfurt und Umgebung eine wichtige Rolle spielte. Jan in Proud to be punk, Nr. 18Angereichert mit zahlreichen Bildern sowie einer Chronik (...) verschmelzen hier zwei Geschichtsbücher, deren Ausgangspunkte zwar über 50 Jahre voneinander getrennt liegen, sich letztendlich aber dennoch stetig berühren – auf der einen Seite eine Firma, die effektiv zur Vernichtung von Leben beigetragen hat, und auf der anderen Seite ein facettenreiches Hausprojekt, welches das Leben bejahte, es einforderte, aber dabei dennoch nie die diesem Boden innewohnende Verantwortung aus den Augen verlor. Ein verdammt wichtiges Buch... +lesen+„Wer öfter als einmal da war, weiß wohl, dass in Erfurt seit der Räumung etwas fehlt...“Gern erinnere ich mich an jenen sonnig-sommerlichen Samstag im Juli des Jahres 2006 zurück, als ich gemeinsam mit der ganzen Akener Rasselbande rund um Rattenpisse in Erfurt eingefallen bin, um dem dortigen Besetzten Haus wieder einmal einen feuchtfröhlichen Besuch abzustatten. Ich weiß noch, dass neben Rattenpisse auch Auweia! an jenem Abend zum Tanze aufspielen sollten und ich total happy war, dass sie einen Song von Tin Can Army zum Besten gaben. Aber das ist nur eine von zahlreichen Erinnerungen, die ich mit dem Besetzten Haus verknüpfe – so war ich gemeinsam mit meinem langjährigen Wegbegleiter Roy des Öfteren in der thüringischen Landeshauptstadt zu Gast, wobei wir viele coole Kapellen, wie z.B. Born/Dead live erleben durften. Lange Rede, kurzer Sinn: das Besetzte Haus in Erfurt war für mich ein Ort, an dem ich viele tolle Konzerte in sehr angenehmer Atmosphäre besucht habe. Darüber hinaus empfand ich es stets als großartig, wie intensiv sich die BewohnerInnen wie auch dem Haus nahestehende AktivistInnen mit der traurigen Vergangenheit des besetzten Geländes auseinandergesetzt haben, das einstmals die Firma Topf & Söhne beherbergte, die u.a. die Krematoriumsöfen für Konzentrationslager während des Nationalsozialismus herstellte. Umso erfreuter war ich natürlich, als mir beim Herumstöbern im Buchladen ein großformatiger, äußerst informativer Rückblick auf die Geschichte des Geländes wie auch die des Besetzten Hauses in die Hände fiel, dessen sehr lesenswerte Existenz ich euch unter gar keinen Umständen vorenthalten möchte... „Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt, haben heute am 12. April um 09.00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt.“ – so lautete der Anfang der Pressemitteilung, mit der sich die BesetzerInnen 2001 an die Öffentlichkeit wandten. Mit diesem Zitat wird der Teil des Buches eingeleitet, der sich intensiv mit den beiden Zeiträumen vor und während der Besetzung beschäftigt. Nachdem seit 1995 in Erfurt keine Besetzung länger als zwei Wochen gehalten hatte, wurde an einem Abend unter der Krämerbrücke schließlich der Entschluss gefasst, sich der Herausforderung der Besetzung eines Täterortes zu stellen. Nachdem es mit dem autonomen Zentrum „Corax“ 1997 zu Ende gegangen war und drei Jahre des Taktierens zwischen Politik, Verwaltung und dem damaligen Haus-Verein Allerlei e.V. wenig Aussicht auf Hoffnung versprachen, war die Stimmung auf dem Tiefpunkt, so dass endlich Tatsachen geschaffen werden mussten. Bis zu seiner Räumung und dem damit verbundenen Abriss konnte sich das Besetzte Haus immerhin ganze acht Jahre halten und bot fortan nicht nur einen Ort für unkommerzielle, kulturelle Veranstaltungen jenseits des Mainstreams, sondern war – wie oben bereits angedeutet – immer auch ein Raum für die konkrete historische wie auch politische Auseinandersetzung. Dass die Übergänge hierbei fließend waren und das Einhalten politischer Mindeststandards natürlich auch bei kulturellen Veranstaltungen stets eingefordert und umgesetzt wurde, versteht sich hierbei von selbst. Das Angebot des Hauses erstreckte sich schließlich von der Donnerstagsbar und die am gleichen Tag im Kubus stattfindenden Kinovorführungen über die Autonomolympix, bei dem sich die Beteiligten beispielsweise im Barrikadenbau beweisen konnten, bis hin zu den Veranstaltungen der Exxit-Crew, die ab 2004 Rap-, D`n`B- und Housepartys bzw. Graffiti-Battles in den Fabrikhallen des Geländes organisiert hat. Hinzu kamen über 250 Konzerte, die von der Konzertgruppe squat.noize veranstaltet wurden, wobei die Bands u.a. aus Japan, Brasilien, Russland, Spanien oder sogar Singapur stammten. Den Höhepunkt bildete jedoch zweifelsohne das jährlich zum Hausgeburtstag stattfindende Festival, das in der Regel bis zu 300 BesucherInnen pro Tag anlockte. Hinzu kam eine intensive historische Aufarbeitung, die in den Jahren 2001 bis 2003 u.a. vom Autonomen Bildungswerk angestoßen wurde. Die daraus hervorgehenden Ergebnisse wurden wiederum in Form von Lesungen und Vorträgen, aber auch kostenlosen Rundgängen über das ehemalige Firmengelände weitervermittelt. Die politisch geprägten Betätigungsfelder, die vom Besetzten Haus ausgingen, waren damit aber noch lange nicht erschöpft. So fanden beispielsweise etliche Spontan-Demos, Aktionen zum Frauentag bzw. gegen die Ausbeutung durch kapitalistische Lohnarbeit oder Proteste gegen die Ausstellung „African Wildlife – Afrikas Tierleben“ statt, bei der in bester rassistischer Manier auch „Buschleute“ gezeigt und mit kolonialistisch tönenden Begleittexten versehen wurden. Szeneintern hagelte es – trotz der bereits angerissenen Geschichtsaufarbeitung – zuweilen jedoch auch heftige Kritik. So forderten VertreterInnen des Leipziger Conne Islands in der 77. Ausgabe ihres Newsflyers „Cee Ieh“ in unverhohlen sarkastischem Ton die Bullerei dazu auf, das besetzte Haus schleunigst wieder zu räumen, da das Besetzen eines mit der Shoa verbundenen Täterortes durch Linke absolut illegitim sei. Die damit einhergehende Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Israelsolidarität innerhalb der Linken führte auch innerhalb des Hauses zu hitzigen Diskussionen, die u.a. im Konflikt zwischen der „Kommunistischen Plattform in der Haus-Vollversammlung“ bzw. der Gruppe „Pro Israel“ auf der einen und der „Revolutionär-kommunistischen Liga“ bzw. einigen BewohnerInnen des angrenzenden Wagenplatzes auf der anderen Seite gipfelte. Im Buch selbst kommen letztendlich mehrere an diesen Auseinandersetzungen Beteiligte zu Wort, so dass es erfreulicherweise der LeserInnenschaft überlassen wird, ein eigenes Bild von der damaligen Konflikte nachzeichnen zu können. Trotz der gerade angesprochenen kulturellen wie auch politischen Verwirklichungsvielfalt, die das Besetzte Haus stets verkörperte und die auch durch dieses Buch widergespiegelt wird, verwehrten sich die BesetzerInnen dagegen, dem Haus den Stempel „Freiraum“ aufzudrücken. Das mag auf den ersten Blick verwunderlich wirken, wenn man aber die damit verbundene Kritik der HausbesetzerInnen berücksichtigt, dass auch ein angeblicher Freiraum von informellen Hierarchien geprägt und trotz aller eingeschlagenen Alternativwege, wie z.B. dem Umsonstladen im Haus, letztendlich doch irgendwo im Kapitalismus verankert ist, wirkt die Abwehr gegenüber jener Bezeichnung schon wesentlich plausibler. Hinzu kommt der Gedankengang, die Idee eines Freiraums berge auch immer die Gefahr der Selbstbezüglichkeit in sich, so dass Schaffung und Erhaltung des eigenen Projekts schnell zum Selbstzweck werden können, wodurch der Versuch, nicht nur eine „Nische im System“ zu schaffen, sondern Gesellschaftskritik auch nach außen zu tragen, verblasst. Der sich nun anschließende Teil des Buches begibt sich auf die Spurensuche in die Vergangenheit, indem detailliert die schattenreiche Geschichte der Firma Topf & Söhne nachgezeichnet wird, die bereits im Jahre 1878 gegründet worden war und ab 1939 auf eine Zusammenarbeit mit der SS einging. In diesem Zusammenhang fabrizierte Topf & Söhne zunächst mobile Verbrennungsöfen, die im nahegelegenen KZ Buchenwald zum Einsatz kamen; später auch stationäre Verbrennungsöfen für die Lager in Auschwitz, Mogilev, Dachau oder Mauthausen. Neben der Herstellung von Anlagen zur effizienten Verbrennung der in den KZs ermordeten Leichen, beteiligte sich Topf & Söhne auch gezielt an der Optimierung der massenhaften Tötung mit Gas. In der Gaskammer des Krematoriums V in Auschwitz-Birkenau wurde eine Entlüftungsanlage der Firma eingebaut. Die Wartung der Anlage und der Krematoriumsöfen wurde von firmenangehörigen Monteuren vorgenommen, die sich dafür teilweise mehrere Monate vor Ort aufhielten. Laut den beiden Autoren des Buches ist es schwer zu sagen, was die MitarbeiterInnen der Firma dazu bewegte, sich an dem Geschäft mit der SS so widerspruchslos und sogar mit Eigeninitiative zu beteiligen. Teile der Firmenleitung und einige Ingenieure waren Mitglieder der NSDAP, ein nicht unerheblicher Teil der MitarbeiterInnen war dem NS-Staat gegenüber jedoch eher kritisch eingestellt – so fanden sich unter den MitarbeiterInnen bei Topf & Söhne beispielsweise zahlreiche KommunistInnen, die im Zuge der Machtübernahme der NationalsozialistInnen 1933 verhaftet und in KZs bzw. Gefängnisse gesperrt und nach ihrer Freilassung bei Topf & Söhne eingestellt wurden, weil die Firma als einzige in Erfurt keine nennenswerten Rüstungsgüter herstellte und daher sicherheitstechnisch unbedenklich war. Aussagen der Ingenieure bieten dennoch einen Erklärungsansatz für die widerspruchslose Zusammenarbeit mit dem Regime: Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die das massenhafte Ermorden von Menschen erforderten, wurden als gegeben hingenommen oder gutgeheißen. Deshalb widmeten sich die Ingenieure der Lösung technischer Probleme, blendeten die sich daraus ergebenden moralischen Abgründe aus und zeigten dabei keinerlei Skrupel. Den oben bereits angesprochenen kommunistisch gesinnten MitarbeiterInnen gelang es im Laufe der 1940er Jahre dennoch, eine illegale Betriebszelle der KPD zu gründen, die sich vorrangig mit der Unterstützung von ZwangsarbeiterInnen befasste, die ab 1941 im Topf & Söhne-Werk beschäftigt wurden. Zwischen 1942 und 1944 wurden jeweils zwischen 270 und 340 ZwangsarbeiterInnen eingesetzt, die aus Belgien, Italien, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Holland, Kroatien, Frankreich und Polen stammten – das entspricht einem Anteil an der Gesamtbelegschaft von 25 bis 40 Prozent. Da es sich hierbei vor allem um Kriegsgefangene oder aus besetzten Gebieten Verschleppte handelte, dürfte es kaum verwundern, dass sie länger als die fest angestellten ArbeiterInnen der Firma arbeiten mussten, dafür jedoch einen um 25 bis 30 Prozent verkürzten Lohn erhielten, der ohnehin nur zu einem geringen Anteil ausgezahlt wurde, da die Leitung den Großteil für Unterkunft und Nahrung einbehielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Firmengelände im Mai 1947 im Zuge der Enteignungspolitik erst zum landeseigenen, später zum volkseigenen Betrieb, der fortan den Namen „NAGEMA Topf Werke Erfurt VEB“ trug. Die Abteilung Krematoriumsbau wurde aufgelöst und die Produktion von Krematoriumsöfen an einen Zwickauer Betrieb abgegeben. Nach mehreren Umbenennungen firmierte der Betrieb ab 1957 schließlich unter dem Namen „VEB Erfurter Mälzerei und Speicherbau“. Um dem selbstgesetzten Anspruch, die Geschichte des nunmehr besetzten Firmengeländes aufzuarbeiten und im gleichen Atemzug auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, installierten die BesetzerInnen 2003 Informationstafeln an geschichtsträchtigen Gebäuden auf dem Gelände und boten seitdem Führungen über das historische Areal an. Wem es nicht vergönnt war, an einem der Rundgänge teilzunehmen, kann dies zumindest virtuell nachholen – sucht im Internet einfach den Film „Topfgang“, der euch einen knapp halbstündigen Einblick in das Firmengelände und dessen Geschichte gewährt. Im November 2008 begann der neue Eigentümer des Geländes schließlich mit Abrissarbeiten, die alle Gebäude mit Ausnahme des Verwaltungsgebäudes und des besetzten Teils betrafen. Parallel dazu wurde das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma Topf & Söhne saniert. Nachdem die Besetzung im April 2009 nach acht Jahren durch die Räumung des Geländes ihr Ende fand, wurden noch am gleichen Tag auch alle Gebäude auf dem besetzten Teil dem Erdboden gleichgemacht. An dieser Stelle entstanden nun eine Bäckerei, ein Einrichtungsmarkt, ein Gartencenter sowie ein großer Parkplatz. Der „Erinnerungsort Topf & Söhne“ wurde schließlich am 27. Januar 2011 im sanierten ehemaligen Verwaltungsgebäude eröffnet. Welche Ziele mit der damit verknüpften Erinnerungskultur seitens der Erfurter Stadt- bzw. Thüringer Landesobrigkeit gegenüber der Öffentlichkeit angestrebt werden, hat Gesa Wolf im Buch derartig treffend formuliert, dass ich sie an dieser Stelle gern zitieren möchte: „Diese Distanzierungen, aber auch die beschriebene Abwertung und Verdrängung der politischen Arbeit des Besetzten Hauses in der Öffentlichkeit, passen zu einem nationalen Normalisierungsdiskurs in Deutschland, der für die heutige BRD keine negativen Schlüsse mehr aus Auschwitz ziehen will. Beschäftigung mit dem NS und der Shoa darf nur noch als „Aufarbeitung“ und „Erinnerung“ an vergangenes Unrecht daherkommen. Eine Verbindung zu heutigem Antisemitismus, Rassismus, Arbeitswahn und heutiger Autoritätshörigkeit werden in diesem Diskurs ausgeblendet. Obskurerweise wird der Bezug auf die Shoa damit zur Begründung für eine moralische Überlegenheit gegenüber anderen Nationen herangezogen. „Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ sieht sich das nationale Zwangskollektiv Deutschland anderen Nationen überlegen. Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte wird diskursiv zur Grundlegung einer höheren Moral gewendet. „Seht her, wir haben so viel aufgearbeitet“ – so hilft Geschichtspolitik dabei, Schuld und Verantwortung unter den Tisch zu kehren.“ Infolge der u.a. durch den Einsatz von Hubschraubern ermöglichten Räumung des Besetzten Hauses, bei der 60 UnterstützerInnen in Gewahrsam genommen wurden, kam es nicht nur in Erfurt, sondern auch in etwa 30 weiteren Städten zu zahlreichen, verschiedenartigen Protestaktionen, auf die das Buch abschließend noch einen Blick wirft. Neben (Nachttanz- und Spontan-)Demos, Kundgebungen – u.a. 14-tägig auf dem Fischmarkt –, „Küche für alle“-Aktionen in der Innenstadt, Scheinbesetzungen, einer Aktionswoche ein Jahr nach der Räumung oder der medienwirksamen Entführung des Kinderkanal-Maskottchens Bernd das Brot, war es vor allem die bereits im Juli 2009 ins Leben gerufene Kampagne „Hände hoch, Haus her!“, die der Forderung nach einem Ersatzobjekt Nachdruck verlieh. Das Ziel, ein Ersatzobjektes zu erhalten, konnte bislang leider nicht erreicht werden. Was bleibt, sind all die Erinnerungen unzähliger Leute, die in irgendeiner Form mit dem Besetzten Haus in Verbindung standen – und ein Buch, das versucht, einen Teil dieser Erinnerungen einzufangen und somit vor dem Vergessen zu bewahren... Dieser Versuch ist definitiv geglückt: das großformatige, 190 Seiten umfassende Endergebnis vereinigt Erinnerungen und – teilweise sehr kontroverse – Meinungen zahlreicher Leute, die im Haus aktiv waren oder ihm nahestanden, wodurch hausinterne Entwicklungen und Konflikte nicht nur beleuchtet, sondern auch für Außenstehende nachvollziehbar werden. Diese Herangehensweise, möglichst viele Menschen an dem vorliegenden Buch mitwirken zu lassen, ist folglich bestens dafür geeignet, die Vielseitigkeit, die durch das Besetzte Haus ausgestrahlt wurde, zu Papier zu bringen. Eine Vielseitigkeit, die sich nicht nur auf kultureller, sondern eben auch sozialer und politischer Ebene erstreckte und dementsprechende Probleme mit sich brachte, womit einer einseitig betrachtenden, alles ins Positive verklärenden rosaroten Rückblende bewusst ein Riegel vorgeschoben wurde – was scheiße lief, wird genauso unverhohlen beim Namen genannt wie die vielen Dinge, die prima funktionierten. Ein weiterer großer Pluspunkt manifestiert sich in der Tatsache, dass das Buch die Besetzung in einem größeren geschichtlichen Kontext sieht, demzufolge jene acht Jahre in die Geschichte der Erfurter HausbesetzerInnen-Bewegung einzubetten vermag und angesichts der mit der Besetzung eines NS-Täterortes verbundenen Verantwortung nicht vergisst, die schattenreiche Vergangenheit dieses ehemaligen Firmengeländes detailliert aufzubereiten – eine Vergangenheit, für die sich lange Zeit niemand in Erfurt interessierte, eine Vergangenheit, zu deren Aufarbeitung die BesetzerInnen einen beachtlichen Teil beigetragen haben. Beachtung oder gar Dank für ihre Geschichtsarbeit kam den BesetzerInnen seitens der Öffentlichkeit selten bis gar nicht entgegen – eher im Gegenteil. Vielleicht ist es ein weiteres Verdienst dieses Buches, eben jenes Engagement ein stückweit zu würdigen. Angereichert mit zahlreichen Bildern sowie einer Chronik, die die Aktivitäten rund um das Besetzte Haus rekapituliert, verschmelzen hier zwei Geschichtsbücher, deren Ausgangspunkte zwar über 50 Jahre voneinander getrennt liegen, sich letztendlich aber dennoch stetig berühren – auf der einen Seite eine Firma, die effektiv zur Vernichtung von Leben beigetragen hat, und auf der anderen Seite ein facettenreiches Hausprojekt, welches das Leben bejahte, es einforderte, aber dabei dennoch nie die diesem Boden innewohnende Verantwortung aus den Augen verlor. Ein verdammt wichtiges Buch, das nicht nur ein wenig beleuchtetes Stück NS-Geschichte untersucht, sondern zugleich auch einem der wunderbarsten Orte, die Erfurt wohl je zu Gesicht bekommen hat, ein kleines papiernes Denkmal setzt. Bruno in CEE IEH Newsflyer des Conne Island, Leipzig, Nr. 201Durch den redaktionellen Ansatz, den Charakter des Buches auf Basis von Zuschriften entstehen zu lassen, bildete sich folglich eine sehr heterogene Melange aus Artikeln. Die bereits erwähnten längeren Texte zur Geschichte des Areals sowie zur Struktur der Besetzung werden von vielen kleinen Anekdoten gut ergänzt. (...) Dadurch gewinnt das Buch gewissermaßen einen autobiografischen Stil, der die Heterogenität des Projektes gut widerzuspiegeln scheint. +lesen+Die Autobiographie des Besetzten Hauses ErfurtViel ist nicht mehr übrig vom ehemaligen Gelände der Firma Topf & Söhne in Erfurt. Lediglich eine Gedenkstätte im ehemaligen Verwaltungsgebäude erinnert an die Geschichtsträchtigkeit des Ortes, auf dem heute ein Parkplatz und ein paar Einkaufsoptionen angesiedelt sind. Während des Nationalsozialismus war die Firma Topf & Söhne verantwortlich für die Entwicklung und Installation von Krematoriumsöfen, die in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern zur Leichenbeseitigung eingesetzt wurden. Mit Topf & Söhne-Öfen verbrannten die Nazis unter anderem in Auschwitz, Buchenwald, Mauthausen und Dachau tausende ermordete Menschen – täglich. Wohlwissend um den Einsatz ihrer Anlagen in den Vernichtungslagern lieferte die Firma Krematoriumsöfen, ließ Ingenieure an der Leistungsoptimierung ihrer Öfen tüfteln und arbeitete mit dem Reichssicherheitshauptamt der SS eng zusammen. Auf diesem Weg trug Topf & Söhne einen bedeutenden Anteil zum Funktionieren des Holocaust bei. Wer die Gedenkstätte des ehemaligen KZs Buchenwald auf dem Ettersberg nahe Weimar besucht und dort im ehemaligen Krematorium vor den gut erhaltenen Öfen erstarrt, der schaut der Firma Topf & Söhne genau ins Gesicht. Dass heute in der Öffentlichkeit so viel über die Verwicklung der Erfurter Firma in den Holocaust bekannt ist, liegt nicht zuletzt an der zeitweisen Nutzung des ehemaligen Fabrikgeländes durch linksradikale HausbesetzerInnen zwischen 2001 und 2009. Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt, haben heute am 12. April um 9:00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt. Mit diesen Worten wendeten sich 2001 nicht nur Erfurter HausbesetzerInnen an die Öffentlichkeit, sondern mit diesem Zitat beginnt auch das im Verlag Graswurzelrevolution erschienene Buch Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort. Denn ohne diesen bedeutungsschweren Satz hätte es weder eines der bekanntesten linksradikalen Projekte in Deutschland noch den hier besprochenen Sammelband gegeben. Wenige Jahre nach der gewaltvollen Beendigung durch Justiz und Polizei schauen ehemalige NutzerInnen auf die Besetzung selbst, die NS-Historie des angeeigneten Areals und die heikle Verquickung von beidem zurück. Zwar möchte die Buchredaktion mit ihrer Publikation weniger zur nostalgischen Rückschau verleiten als Mut für neue Besetzungen machen, tatsächlich aber steht die Retrospektive auf acht Jahre Hausbesetzung im Vordergrund des knapp 200 Seiten langen Sammelbandes. In einem einleitenden, vielleicht aber etwas zu detailreichen Artikel erfährt der/die LeserIn, welche Bemühungen es schon in den 1980er und 1990er Jahren in Erfurt gegeben hatte, um die Erschaffung von kulturellen und politischen Freiräumen oder auch ganz einfach nur billigem Wohnraum herbeizuführen. Diesbezüglich spielte die Ostbiografie Erfurts eine entscheidende Rolle, denn wie bei so vielen Hausbesetzungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR profitierten die BesetzerInnen von politischen und juristischen Unklarheiten im Rahmen der Wende. Die Parallelen zu den Besetzungsszenarien von Ost-Berlin, Leipzig oder Potsdam werden hier sehr deutlich und die Älteren unter uns dürften sich beim Lesen an die eigene Vergangenheit erinnert fühlen – alle anderen an z.B. die Lektüre von Haare auf Krawall. Der einleitende Artikel des Buches endet im April 2001, in jenem Frühjahr also, in dem politisch engagierte Menschen aus Erfurt Teile des ehemaligen Fabrikgeländes der Firma Topf & Söhne besetzten. Bekannt wie besonders wurde das Besetzte Haus in Erfurt in den folgenden Jahren aus zwei Gründen. Zum einen okkupierten die BesetzerInnen eben ein Gelände, welches im Nationalsozialismus direkt an der industriellen Vernichtung von Menschenleben beteiligt war. Zum anderen trat das BetreiberInnen-Kollektiv des Hauses selbst als politische Kraft in Erscheinung und beschränkte sich nicht wie viele Hausbesetzungen auf ein passives Dasein als kultureller Resonanzraum. Eine reine Hausbesetzung mit Vokü und Partyprogramm verbot sich zumindest für Teile der BesetzerInnen ohnehin schon alleine auf Grund der historischen Last des Geländes. Ob aber tatsächlich die auch im Buch an vielen Stellen ausformulierte Prämisse, die Besetzung eines solchen Ortes müsse mit der Selbstverpflichtung einher gehen, sich mit der Geschichte des Holocaust zu befassen und eine angemessene städtische Erinnerungspolitik einzufordern, in den Augen aller BesetzerInnen essentiell war, darf bezweifelt werden. Allein die Tatsache, dass im Buch die meisten Textbeiträge zur NS-Geschichte des Areals und zur Firma Topf & Söhne von ein und der selben Person verfasst sind, drängt dem/der LeserIn die Vermutung auf, dass die Sensibilität für das Gelände nicht bei allen gegeben war. Bestärkt wird diese Vermutung beispielsweise auch in einem Text über das Autonome Bildungswerk, welches als Institution der Arbeitsteilung innerhalb der Besetzung gesehen werden könne und zum Ziel hatte dem Anspruch der BesetzerInnen, sich mit der Vergangenheit des Objektes auseinanderzusetzten, zu genügen. Unkritisch hinterfragt und problematisch bleibt an dieser Stelle, inwiefern die Auseinandersetzung mit dem Holocaust tatsächlich im Rahmen von Arbeitsteilung gesehen werden kann. Auch bleibt die Frage offen, ob bezüglich der historisch-moralischen Selbstverpflichtung nicht auch Dinge kräftig schiefgegangen sind. Dem Buch hätte hier ein Artikel gut getan, der eine explizit kritische Sicht auf die historische Dimension der Besetzung, auf möglicherweise misslungene erinnerungspolitische Ansätze oder auf das Desinteresse von Partygästen gegenüber dem Areal geworfen hätte. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang z.B. – wie zwei BauwagenbewohnerInnen in einem Interview andeuten – dass die Besetzung durchaus auch zum Verfall des Geländes beigetragen habe. Grundsätzlich aber lässt sich festhalten, dass es der Buchredaktion sehr gut gelungen ist, den Lesenden darzulegen, dass der unmittelbare Bezug zum Holocaust die Besetzung stetig begleitete. Ob in Form von selbst organisierter Wissensaneignung, in Form von Geländerundgängen für BesucherInnen, Schulklassen und gastierende Bands, in Form von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen oder via der Teilnahme an Filmprojekten, die Bemühungen um die Erinnerung an den Täterort sind gut zusammengetragen. Als zweiten großen Punkt nähern sich die Textbeiträge des Buches der alltäglichen Organisierung des Chaos im Rahmen der Besetzung. Die Artikel erzählen, wie könnte es anders sein, von klassisch linken Problemen. Von hierarchischen Diskussions- und Handlungsmustern, von schlecht besuchten Plenas (Mittwochs ist doch Plenum!), von negativer Darstellung durch die Presse oder von der ständigen Bedrohung des Projektes durch Behörden der Stadt Erfurt. Zum Glück verfängt sich das Buch aber nicht im Klein-Klein des Alltags, sondern betrachtet das Projekt Besetztes Haus auch in seiner Ganzheitlichkeit. So kann ein Interview mit drei Ex-BesetzerInnen zur Politik im Besetzten Haus als einer der Kern-Beiträge des Buches angesehen werden. Das Besetzte Haus war bekanntermaßen nicht nur ein besetztes Haus, sondern auch ein politisch agierender Zusammenhang, der über den selbstverständlichen Anti-Nazi-Konsens hinaus reichte. Ob Kapitalismuskritik, Freiraum-Debatten, Feminismus oder Israelsolidarität, unterschiedliche Themenbereiche fanden ihren Ausdruck im Haus und finden ihren Ausdruck folglich im Buch. Meist sind die Hintergründe politischer Reibungspunkte oder emotionalgeführter Debatten im und ums Haus gut erläutert. Im Zweifelsfall hat sich die Buchredaktion ganz einfach dafür entschieden, per Interview/Gespräch verschiedene Fraktionen zu Wort kommen zu lassen. So werden z.B. im Zusammenhang mit der nach 9/11 aufkommenden Israelsolidarität die Kämpfe um Deutungshoheit im Besetzten Haus mit Vertretern beider Seiten nachträglich betrachtet. Ebenfalls kommen im Fall eines Angriffs auf eine im Haus aufgehängte Stars-and-Stripes-Fahne beide Protagonisten des Fahnenstreits zu Wort. Lediglich ein Text zum ewigen linken Streitpunkt Definitionsrecht gibt eine einseitige Sicht auf einen der großen politischen Diskussionspunkte innerhalb des Projektes wider. Der Artikel ist zwar mit Definitionsmacht oder Bürgerlicher Staat ausgewogen übertitelt, tatsächlich aber geht es der Autorin darum ihre Position, die Verteidigung des Definitionsrechts, niederzuschreiben – und zwar in einem engstirnig-moralisierenden Ton, der eher nach verspätetem Privatkrieg als nach Sachdebatte klingt. Alle Probleme und Kritikpunkte am Konzept des Definitionsrechtes, die unter Umständen auch in den Diskussionen im Besetzten Haus geäußert wurden, sind im Text einseitig entkräftet. Eine Gegenposition fehlt im Buch. Trotz der Vielzahl ganz unterschiedlicher politischer Debatten verspürt der/die LeserIn, dass über alldem der Themenbereich Geschichtspolitk/Deutsche Vergangenheit/Antisemitismus stand. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang auch das kritisch-produktive Verhältnis zwischen der linksradikal geprägten Besetzung und dem eher bürgerlich geprägtem Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne. Lange Zeit pflegten beide Gruppen aufgrund gemeinsamer Teilziele einen loyalen Umgang miteinander. In dem Moment, in dem die Räumung des Areals allerdings konkret zu werden drohte, entsolidarisierte sich der Förderkreis von den BesetzerInnen und forderte deren Abzug vom Gelände. Heute betreibt der Förderkreis auf dem ehemaligen Topf & Söhne-Areal den 2011 eröffneten Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz. Dass die BesetzerInnen vom Förderkreis und dem Erinnerungsort mit keiner Silbe erwähnt werden und dass es z.B. das hier besprochene Buch nicht über den Erinnerungsort zu erwerben gibt, ist bezeichnend. Sicher, es ist nur ein (wenn auch schöner) Mythos, dass sich die Besetzung aus der Motivation heraus etabliert hätte, das Topf & Söhne-Gelände vor dem Verfall zu retten. Dennoch wäre es für den Erinnerungsort das Allermindeste gewesen, die Rolle der Besetzung für das öffentliche Bewusstsein um die NS-Verstrickung von Topf & Söhne herauszustellen. Im April 2009 beendete ein martialisches Polizeiaufgebot die Besetzung und nur kurze Zeit später walzten Bulldozer große Teile des Geländes platt. Gar nicht schnell genug konnte es dem Eigentümer gehen, den frei gewordenen Platz zum Gewerbegebiet zu transformieren. Mehrere Beiträge widmen sich im letzten Abschnitt des Buches der Hoffnung, die absehbare Räumung zu verhindern, dem kaputten Charme der letzten Tage, dem Vollzug der Räumung, der dabei angewendeten brutalen Polizeigewalt, als auch den bisher erfolglosen Versuchen in Erfurt ein neues selbstverwaltetes Zentrum zu besetzen. So endet das Buch mit der illusorischen Hoffnung, dass was nicht sei, ja noch werden könne und kommt zum Schluss zumindest ein Stück weit seiner Prämisse nach, Mut für neue Besetzungen zu machen. Ursprünglich hätte das Buch eher eine kleine Broschüre werden sollen, da aber dem redaktionellen Call for Papers so viele Zuschriften folgten, wurde kurzerhand aus der geplanten Broschüre ein ganzer Sammelband. Durch den redaktionellen Ansatz, den Charakter des Buches auf Basis von Zuschriften entstehen zu lassen, bildete sich folglich eine sehr heterogene Melange aus Artikeln. Die bereits erwähnten längeren Texte zur Geschichte des Areals sowie zur Struktur der Besetzung werden von vielen kleinen Anekdoten gut ergänzt. Der/die LeserIn erfährt z.B. über die ersten Autonomenolympix oder über die Entführung von Bernd dem Brot(1). Großartig ist auch der Abdruck eines gut gemeinten aber völlig verhunzten spiegel online-Artikels über das Besetzte Haus (Hunde, Haarfilz, Hausbesetzer)(2)sowie die dazugehörige Gegendarstellung(3). Einige der persönlichen Texte, ein Gedicht, ein Text über die Küche für alle (Küfa), oder ein Lied mit Notation (Dort, wo unser Haus stand) geben dem Buch zwar einen hippiehaften Anstrich, aber sie machen es auch ehrlich. Denn im Gegensatz zu so manch anderer Projekt-Publikation schultern das Buch nicht ein paar ausgewählte Viel-Schreiberlinge, die das Projekt gar nicht voll repräsentieren, sondern viele Personen, die sonst wohl weniger schreiben, am Haus aber lange aktiv waren. Dadurch gewinnt das Buch gewissermaßen einen autobiografischen Stil, der die Heterogenität des Projektes gut widerzuspiegeln scheint. Ebenfalls zum biografischen Charakter trägt eine Fakten- und Bilderchronik am Ende des Buches bei. Abschließend sei erwähnt, dass nicht nur die Bilderchronik, sondern das ganze Buch hervorragend gelayoutet sind (wirklich, lieber Pit). Denn besonders bei einem so vielseitigen Buch, wie hier vorliegend, ist ein wohl durchdachtes – nämlich sehr ruhiges und raumgebendes – Layout ganz einfach Gold wert. Ulrich Peters in Kritisch lesen, Nr. 26 "Gedenkpolitik: Zwischen Mythos und Kritik"Wie kann die Auseinandersetzung der radikalen Linken in einem solchen Kontext vonstattengehen? Auf diese Frage liefert der Band zwar keine abschließenden Antworten, jedoch äußerst interessante Einblicke in Perspektiven, aber auch Fallstricke.(...) Die in dem Buch dargestellten Beiträge regen zu dieser Auseinandersetzung an und vermitteln darüber hinaus einen lebendigen Einblick in linke Subkultur, womit die Herausgeber_innen den Ansprüchen der Besetzer_innen gerecht werden. Hier wird nicht nur zurückgeschaut und sich erinnert, sondern ein Blick nach vorne gewagt. +lesen+Vergessen ist die Erlaubnis zur WiederholungDie Auseinandersetzung mit dem historischen Nationalsozialismus und die Erinnerung an die vielen Opfer dieser Ideologie wach zu halten, stellt einen wichtigen Bezugspunkt für viele Antifaschist_innen dar. Welche Besonderheiten dies mit sich bringen kann, wenn eine solche Auseinandersetzung auf einem ehemaligen Täterort stattfindet, zeigt dieses Buch. Täterorte zu fotografieren ist eines der Projekte, das seit diesem Jahr unter Anleitung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BDA) Möglichkeiten sucht, den Spuren des NS in der heutigen Auseinandersetzung einen bildlichen Ausdruck zu verleihen, gerade um Verwicklungen der Wirtschaft und den daraus erwachsenen ökonomischen Profit in den Fokus zu rücken. Dies scheint bitter nötig, steht es doch um die Ausgestaltung diverser Gedenkorte, häufig auch aufgrund fehlender finanzieller Mittel, nicht immer gut und viele Aspekte einer tiefergreifenden Auseinandersetzung finden kaum Beachtung. Teil dieses Fotoprojektes ist auch das ehemalige Topf & Söhne-Gelände in Erfurt. Hier erinnert nach Jahren der Auseinandersetzung mittlerweile ein Zentrum an die Verstrickungen der Firma im NS. Topf & Söhne wurde in den 1920er Jahren zentraler Akteur in Sachen Krematoriums- und Abfallofenbau. Ab 1939 begann dann die Zusammenarbeit mit der SS. Die Firma stellte als erste einen mobilen Verbrennungsofen in Buchenwald zur Verfügung. Im Anschluss daran entwickelte sie stationäre Verbrennungsöfen, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Auschwitz, Buchenwald, Mogilev, Dachau und Mauthausen eingesetzt wurden. Um die „Entsorgung“ der vielen Toten „effizient“ zu organisieren, wurde gerne auf die „Kompetenzen“ der bei Topf & Söhne beschäftigten Ingenieure zurückgegriffen. Über diese Umstände informiert das Zentrum heute mit städtischer Förderung auf einem Teil des ehemaligen Topf & Söhne-Geländes. Umrahmt wird es von einem Einkaufsmarkt sowie einem großen Parkplatz. Diese wurden 2009 etwa zeitgleich mit dem Bau des Zentrums aus dem Boden gestampft. Dafür abgerissen wurden nicht nur Teile des ehemaligen Topf & Söhne-Geländes, sondern auch das über Erfurt hinaus bekannte Besetzte Haus, das auf diesem Gelände entstand. Vom kollektiven Leben und Lernen Der Band selbst beschränkt sich dabei aber nicht nur auf das am 12.04.01 besetzte Gelände, sondern zeichnet einleitend diverse Hausbesetzungen und Versuche, in Erfurt ein linkes Zentrum aufzubauen seit Anfang der 1980er Jahre nach. Der größere Teil des Buches widmet sich dann aber dem Besetzten Haus. „Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt haben heute am 12. April um 9:00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt.“ Äußerst anschaulich wird die Zeit der Besetzung, die Durchführung diverser Konzerte und Veranstaltungen beleuchtet und ehemaligen Besetzer_innen und/oder Aktivist_innen Raum zur Verfügung gestellt, persönliche Eindrücke, die in den acht Jahren Besetzung zuhauf gesammelt werden konnten, schildern zu können. Der Gruppe selbst war, und das wird nicht nur in der ersten Pressemitteilung deutlich, die historische Rolle des besetzten Geländes bewusst, und diese sollte auch über die nächsten Jahre ein zentrales Moment der politischen Auseinandersetzung werden. Wie kann die Auseinandersetzung der radikalen Linken in einem solchen Kontext vonstattengehen? Auf diese Frage liefert der Band zwar keine abschließenden Antworten, jedoch äußerst interessante Einblicke in Perspektiven, aber auch Fallstricke. Schon in den Vorbereitungen und ersten Überlegungen einer möglichen Besetzung in Erfurt war den Beteiligten bewusst, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Geländes und dem NS eine Notwendigkeit darstellt, auch wenn die Motive für eine Besetzung so vielfältig waren wie die an ihr Beteiligten. Aus diesem Vorbereitungskreis entwickelte sich auch das Autonome Bildungswerk (ABW), das hauptsächlich zwischen 2002 und 2003 öffentliche Aktivitäten entfaltete und dem Anspruch der Besetzer_innen, sich mit der Geschichte des Geländes auseinanderzusetzen, in der Praxis Rechnung tragen wollte. Hierbei sollte sich zum einen selbst gebildet und historisches Wissen über den NS und die Verstrickungen der Firma Topf & Söhne gemeinschaftlich erworben werden, zum anderen wurde versucht, über Veranstaltungen und Vorträge nicht nur die übrigen Besetzer_innen über die historische und politische Bedeutung des Geländes zu informieren, sondern ebenso Anwohner_innen und sonstige Interessierte. Spannend in diesem Zusammenhang ist die Perspektive auf den „bürgerlichen“ Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne. Diese war nicht nur aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen von Erinnerungsarbeit durch Spannungen gekennzeichnet, die im Rahmen der Räumung sogar noch zunahmen. Selbstkritisch wird vom ABW auch auf die eigenen linken Ansprüche geblickt, die Institutionalisierung, Expert_innentum und kollektives Lernen reflektieren und zu dem Schluss kommen, dass das ABW als „ein echtes Stück bürgerschaftlichen Engagements (…) als Teil einer unerzählten Geschichte der Zivilgesellschaft Erfurts gelten [kann]. Als revolutionäres Projekt der kollektiven Bildung für eine andere Gesellschaftsordnung ist es Teil linker Geschichte des Scheiterns.“ (S. 36) „Die Linke ist antideutsch oder sie ist nicht“
Die historische Bedeutung des Geländes war den Aktivist_innen jedoch nicht nur Grund genug, die Verstrickungen der Firma in den NS zu beleuchten und diese wahrnehmbar zu machen, sondern immer auch Motivation, Perspektiven für aktuelle Auseinandersetzungen daraus abzuleiten. Dass diese nicht immer ohne Probleme vonstatten gingen, ist Teil einer heterogenen Zusammensetzung der radikalen Linken, die auch in Erfurt und hier im Besonderen auf dem besetzten Gelände ihren Ausdruck fand. Die Kommunistische Plattform in der Haus-Vollversammlung und die Gruppe Pro Israel waren zwei Zusammenhänge, die im Umfeld des und im Besetzten Haus aktiv waren. Die Bezugnahme auf die Historie des Geländes fand ihren Widerhall in der Thematisierung von Antisemitismus innerhalb der Linken. „Gerade wegen der Geschichte des Geländes wollten wir auf gar keinen Fall, dass bei Veranstaltungen antisemitische Stereotype bedient werden – und die werden nun mal in Deutschland oft über den Umweg der Israelkritik artikuliert. Um das von vornherein auszuschließen, haben wir gesagt 'Keine israelkritischen Veranstaltungen auf dem Topf & Söhne-Gelände.'“ (S. 75) Dass diese Vorgabe aber nicht Produkt eines gemeinsam erarbeiteten Konsens war, der nicht nur angesichts des speziellen Kontextes, in dem sich die Besetzer_innen bewegten, durchaus progressive Tendenzen hätte zeigen können, verdeutlichen die Darstellungen in dem Buch in bereits bekannter Weise. Auseinandersetzungen über USA-, Israel- oder DDR-Fahnen, die Ausladung eines israelischen Filmemachers weil in dessen Film Auseinandersetzungen jüdischer und arabischer Friedensaktivist_innen mit israelischen Sicherheitskräften gezeigt werden, lassen einen fahlen Nachgeschmack zurück. Deutlich wird hieran allerdings, dass der sogenannte Nahost-Konflikt auch in Erfurt nicht entschieden wurde, sondern innerlinke Debatten sich vielfältigster Bezugspunkte bedienen können um ihre jeweilige Sicht zu untermauern. Dass die Geschichte des Topf & Söhne-Geländes hier viel häufiger „Label“ als politische Ausgangsbasis war, wird sehr differenziert und reflektiert dargestellt. Täter-, Geschichts- und Erinnerungsort
Doch auch außerhalb linksradikaler Zusammenhänge lief die Suche nach gemeinsamen Perspektiven nicht immer befriedigend. Eine wichtige Partnerin in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes war von Beginn der Besetzung an der Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne, der sich seit Ende der 1990er Jahre für eine Aufarbeitung der Geschichte der Firma eingesetzt hatte. Die Angewiesenheit aufeinander, wenn es darum ging, eine öffentliche Debatte anzustoßen, wird im Buch immer wieder hervorgehoben. „Ohne den Förderkreis gäbe es heute den Erinnerungsort nicht.“ (S. 120) Dies wird deutlich, wenn sich auf der einen Seite für finanzielle Mittel engagiert wird, auf der anderen Seite ganz neue Leute mit der Geschichtsarbeit in Berührung kommen und gemeinsam öffentliche Aktivitäten entfaltet werden. Diese gemeinsam geführten Auseinandersetzungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, und dies vermitteln einzelne Beiträge sehr deutlich, dass letztlich Frust zurückbleibt, wenn der Förderkreis, unter dessen Mitwirkung nunmehr der „offizielle“ Erinnerungsort Topf & Söhne eröffnet wurde, auf diese Zusammenarbeit nicht mehr eingeht. Das Besetzte Haus gibt es in Erfurt nicht mehr, den gemeinsam gewollten Erinnerungsort schon. „Vielleicht wurde mir auch übel, weil massiv versucht wird, die Geschichte des Besetzten Hauses aus der Öffentlichkeit zu tilgen. Kein Wort fällt im Film zur Ausstellung über die Besetzung, die doch einen Teil der Geschichte des Geländes ausmacht (…). In der Ausstellung und im begleitenden Buch findet sich gerade mal ein Bild und ein Satz, der besagt, dass auf dem besetzten Teil des Geländes auch Geschichtsarbeit stattfand.“ (S. 125) Diese Frustration rührt nicht nur daher, dass der Förderkreis die Besetzer_innen im Angesicht der Räumung aufgefordert hat das Gelände unverzüglich und freiwillig zu verlassen, um den Geschichtsort nicht zu gefährden, sondern vielmehr daher, dass Geschichte nicht nur erinnert werden kann, sondern sie immer auch die Möglichkeit besitzt für aktuelle Auseinandersetzungen einen kritischen Referenzpunkt darzustellen. Die in dem Buch dargestellten Beiträge regen zu dieser Auseinandersetzung an und vermitteln darüber hinaus einen lebendigen Einblick in linke Subkultur, womit die Herausgeber_innen den Ansprüchen der Besetzer_innen gerecht werden. Hier wird nicht nur zurückgeschaut und sich erinnert, sondern ein Blick nach vorne gewagt. „Die Vergangenheit zu bewältigen, das ist nur möglich, wenn wir der Auseinandersetzung mit der Geschichte eine radikale Gesellschaftskritik an die Seite stellen und gleichzeitig den Aufbau von Alternativen zu den nach wie vor unmenschlichen Verhältnissen vorantreiben.“ (S. 130) Jan in Trust Nr. 158Der wackere Graswurzelrevolution-Verlag hat hier eine beeindruckende Materialfülle bezüglich der Geschichte der Erfurter Firma Topf & Söhne und der Firmengelände-Besetzung herausgegeben. +lesen+Topf & Söhne - Besetzung auf einem TäterortDer wackere Graswurzelrevolution-Verlag hat hier eine beeindruckende Materialfülle bezüglich der Geschichte der Erfurter Firma Topf & Söhne und der Firmengelände-Besetzung herausgegeben. Topf & Söhne baute die Krematoriumsöfen für Auschwitz. Das Gelände wurde Ende der 90er besetzt und Mitte der 2000er geräumt. Man erfährt in diesem Buch voller Fotos und Flyer (von Konzerten, Demos, Parties etc.) in chronologischer Anordnung die Geschichte der Firma und die Nachkriegs-Prozesse gegen sie. Zum anderen werden die vielfältigen Erlebnisse der früheren Besetzer geschildert (in Text- und Interview-Form). Da gab es die Polit-Typen, die Sauf-Punks, die Antideutschen, die Kommunisten, die Alkis, die Bauwagenleute, die sich total unterschieden und nun an einem Strang ziehen "mussten". Da waren Konflikte (im Plenum) vorprogrammiert. Es wurde sich aber auch zusammengetan gegen die verschiedenen Räumungs- und Diffamierungsversuche, es wurden Demos veranmstaltet und geile Aktionen gemacht (wie die Entführung von "Bernd das Brot"). Die Berichte der Konzert-Macher sind lehrreich. Heute steht auf dem Gelände ein Parkplatz und Supermarkt. Pflichtbuch, dass für die Aufmachung und den Inhalt auch einen fast-geschenkt-Preis hat. Alexander Platz in hEft für literatur, stadt und alltag, Nr. 31Dokumentiert sind in der Broschüre zum einen verschiedene Aspekte des Alltags eines selbstverwalteten Projektes zwischen Plenum, Party und Hundekacke, zum anderen aber auch wichtige theoretische Diskurse, die geführt wurden (...). Gleich ein ganzes Kapitel ist der Geschichte des Topf&Söhne-Geländes gewidmet. (...) Am Ende legt man das Buch mit sehr viel Wehmut aus der Hand. Wehmut darüber, daß dieses Projekt nicht mehr existiert. Und Wehmut darüber, was dieser Stadt damit verloren ging. +lesen+Plenum, Party, HundekackeMoment, da war mal was. Da gab es was. Da fehlt jetzt was. Richtig, im April 2009 wurde das Besetzte Haus auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände in Erfurt geräumt. Im Herbst 2012 erschien nun mit »Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort« eine Broschüre über die Geschichte der Besetzung. »Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt, haben heute, am 12. April, um 9:00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt«. So begann die Pressemitteilung, mit der sich die Besetzer/innen 2001 an die Öffentlichkeit wandten. So beginnt das Vorwort der Broschüre, die sich mit der achtjährigen Geschichte der Besetzung beschäftigt. Als Herausgeber fungieren Karl Meyerbeer und Pascal Späth, stellvertretend, wie es heißt, für eine Gruppe von Herausgeber/innen. Und das wird bereits beim ersten Durchblättern deutlich: Das, was gerne unter dem Begriff »die Besetzer/innen« subsumiert wird und wurde, war und ist alles andere als eine homogene Ansammlung von Menschen. Im Besetzen Haus trafen sich, lebten, liebten, stritten und arbeiteten Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen: Jugendliche, die zu Hause rausgeflogen waren, Menschen, die Partys, Konzerte oder Filmabende veranstalten wollten, politisch Engagierte. Sie kamen nicht nur aus Erfurt oder Thüringen, sondern aus allen Teilen der Bundesrepublik und darüber hinaus. Manche blieben ein paar Tage, manche ein paar Wochen oder Monate, manche über Jahre. Dokumentiert sind in der Broschüre zum einen verschiedene Aspekte des Alltags eines selbstverwalteten Projektes zwischen Plenum, Party und Hundekacke, zum anderen aber auch wichtige theoretische Diskurse, die geführt wurden, beispielsweise über die Definition des »linken Freiraums«, oder Antisemitismus innerhalb der Linken. Gleich ein ganzes Kapitel ist der Geschichte des Topf&Söhne-Geländes gewidmet. Die Geschichtsarbeit spielte von Anfang an eine wichtige Rolle. Bereits vor der eigentlichen Besetzung wurde von den Beteiligten kontrovers diskutiert, ob ein Ort mit dieser Vergangenheit überhaupt geeignet sei. Schließlich sollten hier nicht nur inhaltliche Veranstaltungen, sondern auch Konzerte und Partys stattfinden und Menschen wohnen. Man entschied sich, wie wir wissen, schließlich für eine Besetzung, verbunden mit der Eigenverpflichtung, die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes nicht nur zu suchen, sondern voranzutreiben, auch und gerade in der Öffentlichkeit. Und daß heute fast jede/r Erfurter/in weiß, was in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf dem Gelände geplant und produziert wurde, ist unter anderem dem unermüdlichen Engagement der Besetzer/innen zu verdanken. Die Geschichtsarbeit beschränkte sich aber nicht nur auf die Vergangenheit. Das war sicher einer der wesentlichen Punkte, worin sich die Besetzer/innen von anderen Akteur/innen unterschieden, die sich um die geschichtliche Aufarbeitung des Geländes nicht weniger verdient gemacht haben. Für die Besetzer/innen hörte die Vergangenheitsbewältigung 1945 nicht auf. Sie war ohne eine radikale Kritik der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse, eingeschlossen deren rassistische, diskriminierende und antisemitische Phänomene, nicht vorstellbar. Bedrückend und teilweise erschreckend sind die Beiträge über die letzten Wochen der Besetzung und der anschließenden gewaltsamen Räumung durch die Polizei. Spürbar wird noch einmal die Stimmung, das Gemisch aus Wut, Trauer und Ohnmacht, das zu jener Zeit für all diejenigen über der Stadt lag, die sich dem Projekt auf irgendeine Weise verbunden fühlten oder auch einfach nur mit ihm sympathisierten. Trotz des traurigen Endes gibt es aber auch immer wieder Grund zum Schmunzeln. Angefangen bei den Berichten über die legendären Partys, der einen oder anderen persönlichen Erfahrung bis hin zu einem sehr unterhaltsamen Text vom »§129a-Team« zur nicht weniger legendären Entführung von »Bernd das Brot« im Januar 2009. Am Ende legt man das Buch mit sehr viel Wehmut aus der Hand. Wehmut darüber, daß dieses Projekt nicht mehr existiert. Und Wehmut darüber, was dieser Stadt damit verloren ging. Dirk in Plastic Bomb, Nr. 81Das Buch handelt von der Idee zur Besetzung bis zur Räumung und lässt in vielen kleinen Kapiteln ehemalige Bewohner und Sympathisanten zu Wort kommen, was die ganze Sache sehr lebendig wirken läßt. (...) Ich persönlich könnte mir nach der Lektüre echt in den Allerwertesten beißen nie dort gewesen zu sein. +lesen+Topf & Söhne - Besetzung auf einem TäterortDieses Buch handelt von der Besetzung des alten Topf & Söhne Geländes in Erfurt. Für Nichtkundige: Topf & Söhne war eine Firma, die im 3. Reich die Krematorien für Auschwitz und andere Vernichtungslager baute und folglich nicht ganz unschuldig am massenhaften Genozid war. Am 12.April 2001 wurde dann das alte Firmengelände in Erfurt von einer Gruppe Autonomer und Punx besetzt, die auf dem weitläufigen Areal ihr Leben selbst gestalten wollten, ohne jedoch das schreckliche Erbe in Vergessenheit geraten zu lassen. So entstanden dort mit der Zeit neben Wohnungen und Bauwagenplatz auch mehrere Veranstaltungshallen, Werkstätten und ein Kino, aber auch Erinnerungstafeln und auch Führungen über das ehemalige Werksgelände wurden Interessierten von den Besetzern angeboten. Es entstand also ein riesiger Freiraum für Politik, Punk und Party. Doch keine Party dauert ewig und so wurde das Gelände acht Jahre nach der Besetzung mit einem massiven Bullenaufgebot geräumt und heute steht an dieser Stelle ein Gewerbepark auf dem sogar eine kleine Erinnerungsstätte steht. Das Buch handelt von der Idee zur Besetzung bis zur Räumung und lässt in vielen kleinen Kapiteln ehemalige Bewohner und Sympathisanten zu Wort kommen, was die ganze Sache sehr lebendig wirken läßt. Deutlich werden die großen Unterschiede der einzelnen Personen, Punx gegen Politniks, Antideutsche gegen Alle und gemeinsam gegen Bullen und Ordnungsamtsbüttel, aber auch gemeinsam gegen das Vergessen und Verdrängen deutscher Tätergeschichte. Trotz der ganzen Konflikte untereinander müssen die Jahre eine wirklich tolle und gerade auch für die Involvierten eine sehr prägende Zeit gewesen sein, ich persönlich könnte mir nach der Lektüre echt in den Allerwertesten beißen nie dort gewesen zu sein. Absoluter Pflichtstoff für Jeden, der sich für Freiraumkultur begeistern kann. justus in feierabend - libertäres Monatsheft aus Leipzig, Nr. 46Die Form der Texte ist vielfältig. Analytisches wechselt sich mit persönlichen Rückblicken und Interviews ab. So entsteht nach und nach ein Gesamtbild der verschiedenen Fraktionen und Individuen, die das Haus belebten.(...) Und ganz nebenbei wird so auch ein Stück Bewegungsgeschichte geschrieben, spiegeln sich in der Geschichte des Hauses die großen Debatten der letzten zehn Jahre wieder. (...) Dieses Buch ist ein würdiger, bewegender vielschichtiger komischer, chaotischer, wütender und natürlich auch etwas wehmütiger Nachruf auf ein Projekt, das in dieser Form sicher einzigartig war. +lesen+Gekommen, um zu bleibenMit dem Topf-Squat in Erfurt verbinde ich nicht viele, aber gute Erinnerungen. Ein Konzert mit anschließender Party, bei der trashiger Elektropop und eine rosa Federboa zum Einsatz kamen... Ein böllernder Kanonenofen im Veranstaltungsraum, der den Kunststoff meiner Regenjacke noch auf 40-Zentimeter-Distanz zum Schmelzen brachte. Verdammt leckeres Essen. Zu zwölft im Hochbett pennen. Ein verkatertes Frühstück, flockende Sojamilch im Kaffee. Im Regal neben der Couch Aktenordner mit politischem Bildungsmaterial. Der Ausblick aus dem Fenster im ersten Stock zeigt trübes Wetter und Industrieruinen. Und dann 2009, kurz nach der Räumung des Hauses, eine recht verpeilte Soli-Aktion in Leipzig, die schon im Polizeikessel startete. Später versuchten wir, ein Häufchen von ca. zwanzig Leuten, weit abgeschlagen vom Hauptfeld der Demonstration, den Berufsverkehr am Connewitzer Kreuz zu stoppen... In ähnlicher Weise erinnern sich offenbar viele Menschen. Acht Jahre lang, vom April 2001 bis April 2009, war das besetzte Haus auf dem ehemaligen Gelände der Firma Topf & Söhne ein wichtiger Anlaufpunkt für Erfurt und darüber hinaus. Ein Ort für Subkultur und Politik, für Diskussionen und Partys, ein Ort, der geschichtliche Bedeutung mit aktueller antifaschistischer Praxis vereinte. Und es gibt unzählige Menschen, deren Lebensläufe durch die Besetzung geprägt wurden, die sich in irgendeiner Weise mit dem besetzten Haus verbunden fühlten. So sollte "Topf & Söhne - Besetzung auf einem Täterort", letztlich im Verlag Graswurzelrevolution erschienen, auch ursprünglich bloß eine Broschüre werden. Wegen der Vielzahl der Zuschriften wurde dann doch ein Buch daraus... Die Zeit der Besetzung wird im ersten Teil des Bandes beleuchtet. Die Form der Texte ist vielfältig. Analytisches wechselt sich mit persönlichen Rückblicken und Interviews ab. So entsteht nach und nach ein Gesamtbild der verschiedenen Fraktionen und Individuen, die das Haus belebten: Polit-Aktivist_innen und Partymacher_innen, gelegentliche Gäste und dauerhaft Engagierte. Bauwagenpunks erteilen gute Ratschläge an die jüngere Generation ("Nicht so viel Müll rumliegen lassen, sonst kommen Ratten"). Und ganz nebenbei wird so auch ein Stück Bewegungsgeschichte geschrieben, spiegeln sich in der Geschichte des Hauses die großen Debatten der letzten zehn Jahre wieder. So geht es natürlich um Antisemitismus und Israelsolidarität, um Antifaschismus und Arbeitskritik, aber auch um szeneinternes Mackertum und die Definitionsmacht bei sexuellen Übergriffen. Der zweite Abschnitt des Buchs befasst sich dann mit der Geschichte des Geländes und führt damit tief in die Abgründe der deutschen Vergangenheit - die Firma Topf & Söhne produzierte während des 2. Weltkriegs Krematoriumsöfen für Auschwitz. Nach einem kurzen Abriss der Unternehmensgeschichte werden die Biographien der am Ofenbau beteiligten Ingenieure behandelt. Dabei ist es erschreckend, wie indifferent diese dem Zweck ihres eigenen Handelns, der industriellen Vernichtung von Menschen, gegenüberstanden. Dabei waren die weit davon entfernt, bloße Befehlsempfänger zu sein, sondern bemühten sich vielmehr darum, immer effizientere Methoden der Leichenverbrennung zu entwickeln. Auch die Lage der bei Topf & Söhne beschäftigten Zwangsarbeiter_innen wird beleuchtet, die Entwicklung der Firma nach 1945. und schließlich das Bemühen der Besetzer_innen um eine angemessene Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes - durch eigene Nachforschungen, Rundgänge, Vorträge und durch eine aktuelle, antifaschistische und gesellschaftskritische Praxis. Umso krasser erscheint es im Rückblick, dass das Gelände im April 2009 mit einem Großaufgebot schwer bewaffneter Polizei geräumt wurde - anschließend wurden mit dem ehemals besetzten Haus auch die meisten anderen Gebäude dem Erdboden gleich gemacht, um Raum für Gewerbeflächen, einen Supermarkt und einen Parkplatz zu schaffen. Die dramatischen Ereignisse der Räumung nehmen den dritten Teil des Buches ein. Auch hier wechselt die Form der Texte zwischen Interview, Analysen und persönlichen Berichten. Wut, Hilflosigkeit und Enttäuschung scheinen ebenso durch wie der "kaputte Charme der letzten Tage" (so eine Kapitelüberschrift). Und Bernd das Brot darf natürlich auch nicht fehlen... Dabei wird noch einmal klar, was für eine riesige Lücke das Ende des Hauses hinterlassen hat. Dieses Buch ist ein würdiger, bewegender vielschichtiger komischer, chaotischer, wütender und natürlich auch etwas wehmütiger Nachruf auf ein Projekt, das in dieser Form sicher einzigartig war. Andreas Blechschmidt in Analyse und Kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis vom 16.11.2012Insgesamt ist das Buch der gelungene Versuch, einen Teil linker Bewegungsgeschichte zu schreiben. Offene Fragen sind weniger den AutorInnen anzulasten; sie spiegeln eher den Stand der Bewegung wider. +lesen+HäuserkampfDie Geschichte der Kämpfe um besetzte Häuser zu schreiben, bedeutet oft, über gescheiterte Verteidigungen gegen polizeiliche Räumungen zu berichten. Das gilt auch für das nach acht Jahren Besetzung 2009 geräumte Projekt auf dem historischen Gelände der Firma Topf und Söhne in Erfurt. Umso erfreulicher, dass nun ehemalige AktivistInnen versucht haben, das Lebensgefühl, die Erfahrungen und Diskussionen dieser Zeit zusammenzutragen. Das Ergebnis dokumentiert Kontroversen und Zerwürfnisse, die zuverlässig dort auftreten, wo der Versuch unternommen wird, Gegenentwürfe zum kapitalistischen Normalzustand praktisch zu leben. Ob es um die Konfrontation mit Behörden, Medien, interne Debatten, Plenumsstrukturen, Definitionsmacht oder Israelsolidarität ging: Punks mussten sich mit Bewegungsintellektuellen arrangieren wie VeganerInnen mit FleischkonsumentInnen und SchlauschwätzerInnen mit ProletarierInnen. In einem lesenswerten Kapitel wird der Umgang mit dem historischen Erbe der Firma Topf, die u.a. Krematoriumsöfen nach Auschwitz lieferte, nachgezeichnet. Hier bleibt offen, ob es wirklich bei allen ein Bewusstsein für die besondere Konstellation eines linken antifaschistischen Projekts an einem expliziten NS-Täterort gab. Insgesamt ist das Buch der gelungene Versuch, einen Teil linker Bewegungsgeschichte zu schreiben. Offene Fragen sind weniger den AutorInnen anzulasten; sie spiegeln eher den Stand der Bewegung wider. Bernd Hüttner auf http://thueringen-links.deIn mehreren Artikeln wird sowohl die Geschichte der Firma wie die vielfältigen Aktivitäten der BesetzerInnen dokumentiert. Diese stoßen immer wieder, zum Beispiel anhand des Topos der "deutschen Wertarbeit", auf die schwierige Frage des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Kapitalismus. (...) Durch das mit über 200 Fotos reichhaltig illustrierte Buch entsteht ein sehr plastisches Bild, das von der Spannung zwischen dem linksradikalen Alltag sowie der historischen Bedeutung des Ortes lebt - und den jeweiligen Umgang damit schildert. +lesen+Topf & Söhne - Besetzung auf einem TäterortDie Besetzung des Areals der ehemaligen Firma "Topf und Söhne" in Erfurt dauerte von April 2001 bis April 2009. Die vielen BesetzerInnen hatten sich etwa ein Viertel des über 50.000 Quadratmeter umfassenden Geländes angeeignet - es genutzt, dort gewohnt, Kultur veranstaltet, Raum für Politik und Werkstätten geschaffen. Mit diesem sehr preiswerten Buch sollen nun die Erfahrungen dieser Zeit festgehalten werden. Zuerst wird aber die Geschichte der Hausbetzungen in Erfurt bis 2001 nacherzählt. Danach folgen unterschiedliche Beiträge zum Alltag in einem linken Projekt. Zu seinen Untiefen, seinen internen und öffentlichen Debatten und zur "Organisierung des Chaos". Das besetzte Haus wollte nie ein Freiraum in der alten politischen Bedeutung sein. Es wird aber doch deutlich, dass ein besetzter Raum immer auch ein Laboratorium für Ideen und ihre Umsetzung ist. Der Bedeutung jenseits seiner Mauern hat, ja über die Stadt Erfurt hinauswirkte. Die Firma "Topf und Söhne" war nicht irgendeine Firma. Sie stellte während des Nationalsozialismus auf dem später besetzten Gelände Krematoriumsöfen für Auschwitz und andere Lager her. So war von Anfang an klar, dass die BesetzerInnen sich dazu verhalten mussten und dies dann auch taten. In mehreren Artikeln wird sowohl die Geschichte der Firma wie die vielfältigen Aktivitäten der BesetzerInnen dokumentiert. Diese stoßen immer wieder, zum Beispiel anhand des Topos der "deutschen Wertarbeit", auf die schwierige Frage des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Kapitalismus. Die Konflikte und die Zusammenarbeit mit dem schon 1999 gegründeten "Förderkeis Geschichtsort" werden analysiert. Einige kritisieren, er kehre durch seine Arbeit Schuld und Verantwortung unter den Tisch - ganz im Sinne der neuen deutschen Erinnerungspolitik. Heute ist auf dem Gelände ein Baumarkt und Gartencenter samt Parkplatz. In einem Gebäude, das nie Bestandteil der Besetzung war, wurde ein offizieller Geschichtsort zur Firma eingerichtet. Alle Spuren der Besetzung sind getilgt, auch im Gedenkort wird nicht darauf hingewiesen, dass die BesetzerInnen sich erinnerungspolitisch und antifaschistisch engagiert haben und somit zu seiner Durchsetzung mit beigetragen haben. Durch das mit über 200 Fotos reichhaltig illustrierte Buch entsteht ein sehr plastisches Bild, das von der Spannung zwischen dem linksradikalen Alltag sowie der historischen Bedeutung des Ortes lebt - und den jeweiligen Umgang damit schildert. Dirk Teschner in Telegraph 127/128Am 12. April 2001 besetzte eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt das ehemalige Firmengelände von „Topf & Söhne“. Das „Besetzte Haus“, „B-Haus“ genannt, wurde 2009 gewaltsam geräumt. Von den acht Jahren Besetzung handelt ein beim Verlag der Graswurzelrevolution erschienenes Buch (...) Die Lücken, die die Räumung des B-Hauses in die politische und kulturelle Szene von Erfurt gerissen hatte, sind bis heute spürbar. +lesen+Topf & Söhne – acht Jahre BesetzungAb Herbst 89 wurden in allen größeren Städten der DDR die entstehenden Freiräume genutzt und Häuser besetzt. Junge Menschen bezogen die reichlich leerstehenden Häuser. Sie bekamen später Mietverträge oder wurden geräumt. Mitte der 1990er Jahre gab es quasi keine Hausbesetzerbewegung mehr. Neubesetzungen wurden in der Regel innerhalb von 24 Stunden polizeilich beendet. In den letzten Jahren wurden sich Häuser legal angeeignet, etwa über das Häusersyndikat oder über die Wächterhausprojekte. Umso erstaunlicher waren Besetzungen nach dem Jahr 2000. Wenn sie dann auch Monate oder gar Jahre anhielten waren daraus relevante Zentren geworden. Es gab die mehr kulturelle Ausrichtung, wie bei der Reitbahnstraße in Chemnitz und die klar politisch motivierte Besetzung, wie bei dem Fabrikgelände von Topf & Söhne in Erfurt. In Erfurt, wie in allen größeren Städten der DDR, gab es seit Anfang der 1980er Jahre Wohnungsbesetzungen. Ein bekanntes Beispiel war in der verfallenen Altstadt das Haus in der Kürschnergasse 7. Das war ein altes, kaputtes Haus, teils legal bewohnt mit vielen leeren Räumen, die sich angeeignet wurden. Dort fand 1984 eine legendäre Ausstellung mit Leuten aus Erfurt und Berlin statt. Dabei waren Mitglieder der einzigen DDR-Künstlerinnengruppe „ExterraXX“ und junge Punks, die anfingen ihr Herzblut auf Leinwände zu spritzen. Diese Ausstellung wurde von der Polizei beendet, und es wurden Ordnungsstrafverfahren ausgesprochen. In dem Haus probte auch die Punkband „Konstruktives Liebeskommando“, es wurde gewohnt und geliebt und manches Glas geleert. Zwei Jahre später wurde das Haus dann systematisch zerstört. Leitungen wurden von der Staatssicherheit zerhackt und die Wasserrohre gekappt. In einem anderen Haus in der Altstadt gab es mit dem Bananenkeller einen weiteren autonom organisierten Raum für Veranstaltungen, Konzerte und Partys, dieser existierte bis Anfang der 1990er Jahre. Mit dem Herbst 89 begann auch in Erfurt ein Run auf leerstehende Häuser. Ein besetztes Gebäude wurde zum autonomen Jugendzentrum „Corax“ und bestand bis 1997. Unter dem Namen AJZ machen einige bis heute weiter. Als Konzertraum für Punk- und Hardcore-Bands, an einem anderen Ort und ohne politische Außenwirkung. Bis Ende der 1990er Jahre gab es weitere kurzzeitige Besetzungen. Dann war Ruhe, bis 2001. Am 12. April 2001 besetzte eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt das ehemalige Firmengelände von „Topf & Söhne“. Das „Besetzte Haus“, „B-Haus“ genannt, wurde 2009 gewaltsam geräumt. Von den acht Jahren Besetzung handelt ein beim Verlag der Graswurzelrevolution erschienenes Buch mit dem Titel „Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort“. Es kommen auf 190 Seiten Besetzer und Nutzer in kurzen Interviews zu Wort und es gibt umfangreiche Informationen zur Geschichte des Geländes. „Topf & Söhne“ stellten in der Zeit des Nationalsozialismus Öfen und Gaskammer-Lüftungstechnik für das Vernichtungslager Auschwitz her. Die Thematisierung dieser Geschichte war während der acht Jahre der Besetzung am historischen Ort ein wichtiger Aspekt der politischen Arbeit. Daraus resultierten Schwerpunkte, wie, die Beschäftigung mit der NS-Zeit, Antifa (theoretisch wie praktisch) und die Definition des Verhältnisses zu Israel. Für Nazis war die Gegend um das besetzte Gelände, einer Ausfallstraße Richtung Weimar, eine No-go-Area. Neben der politischen Arbeit gab es auf dem besetzten Gelände alles was es so sonst in Erfurt nirgends gab: viel Raum zum Wohnen, eine Volksküche, einen Umsonstladen, einen Infoladen, einen Wagenplatz, eine Kneipe und Hallen, wo über 250 Konzerte und Drum’n-Bass-Partys statt fanden. Es gab Veranstaltungen, Lesungen und Filmvorführungen. Die riesigen Hallen waren ein Eldorado für die Erfurter Graffitiszene. Ende der Nuller-Jahre wurden von dem Besitzer des Geländes, der „Domicil Hausbau GmbH“ und Investoren, die Planung eines Gewerbegebietes konkretisiert und die Besetzer zum Verlassen des Geländes aufgefordert. Nach Gerichtsbeschlüssen für eine Räumung, einem Brand auf dem Gelände und Abrissarbeiten in der Nachbarschaft wurde Anfang 2009 die Situation immer kritischer. Es gab Solidaritätsaktionen zum Erhalt des B-Hauses: Kundgebungen, Demonstrationen, Scheinbesetzungen und Bernd das Brot wurde entführt. Bernd das Brot, eine bundesweit bekannte Figur des in Erfurt ansässigen Fernsehsenders „KiKa (Kinderkanal)“ sprach sich in einem Video der Entführer gegen die bevorstehende Räumung des besetzten Geländes aus. Umsonst! In den frühen Morgenstunden des 16. Aprils 2009 stürmte ein Großaufgebot von SEK und Polizei das Gelände und räumte es gewaltsam. Kurz danach wurden außer dem Verwaltungsgebäude, alle Hallen und Gebäudeteile abgerissen. Anders als in Chemnitz wurden den Besetzern von der Stadtverwaltung Erfurt keine Ersatzhäuser angeboten, im Gegenteil, alle Besetzungen seit der Räumung wurden sofort durch Polizeikräfte beendet. Die Lücken, die die Räumung des B-Hauses in die politische und kulturelle Szene von Erfurt gerissen hatte, sind bis heute spürbar. Es gibt an anderer Stelle einen Wagenplatz und einen Infoladen, aber es fehlen die Freiräume zum Experimentieren, Austoben und politischer Interventionen. Seit 2011 gibt es, in dem einzigen verbliebenen Gebäude, den von der Stadtverwaltung betriebenen Erinnerungsort „Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“. Hans Rehfeldt in der Literaturbeilage des Neuen Deutschland vom 9.10.2012Es war ein ruinöses riesiges Firmengelände, das "Chaoten" - wie die Erfurter Justiz urteilte - besetzten (...). An die antifaschistischen Besetzer erinnert nun ein Bild-Text-Band, weil - wie der Herausgeber Pascal Späth und die Autorin Gesa W. betonen - es wichtig ist, "dem deutschen Normalisierungskurs hinsichtlich der NS-Geschichte zu widersprechen." +lesen+Verbrecherisches Unternehmertum. Wider die Normalisierung.Es war ein ruinöses riesiges Firmengelände, das "Chaoten" - wie die Erfurter Justiz urteilte - besetzten, um sich selbstbestimmend so zu entfalten, wie sie es für richtig hielten. Die Besetzung des Geländes, auf dem zur Nazizeit von der Firma "Topf & Söhne" Krematorien und Gasöfen für die Konzentrationslager hergestellt wurden, durch eine Gruppe politisch engagierter Autonomer machte die Geschichte dieses Ortes wieder sichtbar. Die Besetzer brachten Tafeln an über die Vorgänge zwischen 1933 und 1945. Sie betrachteten ihre Arbeit als antifaschistischen, revolutionären Eingriff in die gegenwärtige Gesellschaft. Das "Autonome Bildungswerk" organisierte darüber hinaus in der ehemaligen Todesfabrik Konzerte, die mit "Flaschenpfand" bezahlbar waren. Auch wurden hier kostenlos Wohnstätten zur Verfügung gestellt. Vor allem aber haben die Besetzer immer wieder zu Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Thüringer Neonazis aufgerufen. 2008 verkaufte die Stadt Erfurt das Gelände und wurde damit zugleich die unbequemen Besetzer los, die so konsequent auf die Beteiligung deutscher Ingenieurskunst an den millionenfachen Morden der Nazis aufmerksam gemacht hatten. 1945 waren einige Mitarbeiter von "Topf & Söhne" zu mehrjähriger Haft in Straflagern verurteilt wurden, die Leitung jedoch hatte sich rechtzeitig in die Westzonen verflüchtigt. In der DDR befand sich auf dem Gelände der VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau. Er ging nach 1990 wegen fehlgeschlagener Transaktionen eines Schwaben pleite. An die antifaschistischen Besetzer erinnert nun ein Bild-Text-Band, weil - wie der Herausgeber Pascal Späth und die Autorin Gesa W. betonen - es wichtig ist, "dem deutschen Normalisierungskurs hinsichtlich der NS-Geschichte zu widersprechen." |